Dienstag, 14. November 2023

20 Laternen

 Auch wenn uns manchmal Welten trennen,
ich trag Deinen Namen, trag Dein letztes Hemd.
Du hast mir Laufen beigebracht - schau wie ich renn!
Und wenn Du fragst ob ich noch bleib,
sag ich wieder mal mir fehlt die Zeit.
Hoff Du weißt das: Ich geh' meinen Weg.
Aber niemals allein.


Und schon wieder ist es passiert: Ein Lied, das die Inspiration in mir geweckt hat. Und das ist einfach so hart untertrieben, wie es nur sein könnte. Dieses Lied ("12 Laternen") hab ich das erste Mal am letzten Wochenende auf dem Heimweg gehört. Also nicht auf dem Heimweg in meine/unsere Wohnung (Krass - ich merk grade, dass ich eigentlich nur "meine" sagen wollte, aber ich weiß, dass Du Teil davon bist... und ich das gut finde. Auch wenn ich es manchmal mehr zeigen könnte), sondern auf dem Weg in meine Heimat. In dem Song geht es um die Beziehung des Sängers zu seiner Mutter. Rührend! So rührend, dass ich geweint hab, während mein Mann neben mir auf dem Beifahrersitz schlief. Ein Wunder dass er nicht aufgewacht ist, so wie wir uns fühlen und so wie diese 2:53min meine emotionale Welt erschüttert haben.
In diesen nicht ganz drei Minuten, sind mir so einige Dinge glasklar geworden. Ich bin (leider Gottes) nicht mehr 3, 4 Jahre alt... und meine Mutter schon lange nicht mehr die Heldin, die meine Kuscheltiere wieder heile machen und jedes Wehwehchen behandeln kann. 
Es liegen nicht nur 200km zwischen uns, seit ich weggezogen bin, sondern auch Welten, seit ich mich gegen Kinder entschieden habe. Das hat eine Lücke in unserer Band geschnitten. Diese Entscheidung hab ich mit 27 getroffen und ihre Reaktion darauf, als ich das zum ersten mal geäußert habe, war, dass ich das noch gar nicht wissen könnte. Warum nicht? Weil 27 quasi noch wie 7 ist? Weil das nicht erwachsen oder weise genug ist? Weil ich ich zu jung bin um das entscheiden zu können - ohne das zu bereuen? Oder weil es einfach nicht das ist, was sie an meiner Stelle tun würde? Weil es nicht das Leben ist, dass sie sich für mich vorgestellt hat? Tja, ich hab aber meine eigene Vorstellung! Ich glaube ihr ist nicht klar, dass es mein gutes Recht ist, mein Leben anders schön zu finden als sie ihres. In meinem Leben - sofern es mich glücklich und zufrieden machen soll - ist einfach kein Platz für Kinder. Da sind keine zusätzlichen Nervenreserven für Windeln, Schnotternasen und Tobsuchtabfälle. Keine extra Abwehrkräfte für Hormonkeulen,  Kitakeime und Teenieprobleme. Ich stelle mir ein glückliches Leben einfach anders vor.

Ruhig...

Mit Menschen, die nicht noch 10 Jahre brauchen, bis ich ihnen die Worte, die ich nutze nicht mehr erklären muss. Mit Unternehmungen, die ich machen kann, wenn ich es will und lassen, wenn nicht. Ich möchte nicht den Dino-Park besuchen oder rosa Schleifchen an Kleider nähen. Ich möchte keinen Laternenumzug mit den Nachbarkindern planen und keinen Kuchen für den Weltkindertag backen. Ich möchte mit meinem Hund eine Stunde schweigend draußen sein und mich trotzdem blind mit ihm verstehen können. Ohne ein Wort. Ich möchte oft zum Sport und wenn ich Bock drauf hab auch  morgens und abends, ohne darauf warten zu müssen, dass irgendjemand auf das Baby aufpassen kann.
Ich wünsche mir ein Leben, dass ich so gestalten kann, wie ich es möchte - ohne dass mich jemand dafür verurteilt... nur weil es nicht so ist wie das eigene. Und am meisten wünsche ich mir, dass meine Mutter wenigsten versuchen würde mich zu verstehen...
Aber das tut sie nicht. Ich glaub sie versteht nicht, dass ich einfach so anders bin als sie. Und das Schlimme daran ist, ich glaub, selbst wenn sie alles wüsste, was ich durchgemacht habe, würde sie das nicht. Sie ist die letzte der ich von meiner Therapie erzählt habe und sie wird niemals erfahren, dass diese Therapie nötig war, weil ich vergewaltigt wurde. Sie hat keine Ahnung, wie lang ich mit mir gekämpft hab, bevor ich feststellen musste, dass ich mir allein nicht helfen kann, egal wie gut ich mich und meine Gefühle kenne. Sie weiß nicht, was für eine enorm große Leistung es ist, mit meiner Geschichte eben nicht zu denken, dass man nicht gut genug ist.
Ich weiß, dass ich schon als Kind immer versucht hab alles richtig zu machen - nur geklappt hat das oft nicht. Ich bin oft VOR dem Essen nochmal zur Toilette gegangen, weil man sowas nicht macht, wenn man erstmal am Tisch sitzt, und weil ich ja eh gerade auf dem Weg war, hieß es dann oft ich solle schon mal den Tisch decken oder sonst irgendwas helfen... Ich ging aber erst auf's Klo - wie geplant - und dann hieß es für den Rest meines Lebens ich würde mich drücken und (das werde ich niemals vergessen!) "Du bist  faul wie Schifferscheiße!"
Ja, das muss erstmal sacken, oder?! Ist jetzt nicht so, dass wir so'n Assi-Haushalt gewesen wären und ich da á la Mathilda völlig fehlplatziert gewesen wäre. Gar nicht. Darum war ich vermutlich auch so schockiert damals und darum hat mich das sicher auch so geprägt. Heute bin ich erwachsen und selbst darüber verwundert, dass ich nicht ständig denke, dass ich etwas nicht kann oder nicht gut genug bin. Das ist aber ehrlich gesagt nicht der Verdienst meiner Eltern. Ich wusste immer selbst, wenn ich mein Beste gebe, wird es gut genug sein. Ja, in Mathe war ich trotzdem schlecht und auch da hieß es dann wieder "Du willst es ja gar nicht verstehen!" Nee, ach?! Kommt das irgendjemandem bekannt vor? Anders als bei meiner Mom war es so aber nicht. Ich erinnere mich noch genau, an einige Wochen am Gymnasium. Mathe war mein schlechtestes Fach und ich dachte nach der vergangenen Mitarbeits-Runde, dass ich jetzt so richtig Gas geben würde, damit ich wenigstens hier eine sehr gute Note abstauben würde. Ich meldete mich immer, wenn ich ein Ergebnis hatte - auch wenn ich mir nicht sicher war, ob es korrekt war. Ich ging immer freiwillig an die Tafel um vorzurechnen und ich machte auch die Zusatzaufgaben, die freiwillig waren. Und einmal  - wir behandelten gerade Vektorrechnung - war ich die einzige (!) die ALLE Hausaufgaben korrekt gelöst hatte. Sogar Peter unser Mathestreber hatte sich verrechnet. Scheiße was war ich stolz auf mich! Und statt der üblichen 7 Punkte (3-) in Mitarbeit, teilte mir die Lehrerin freudestrahlend (als wäre es eine besonders gute Leistung) mit, dass es bei mir dieses Mal 6 Punkte sind. Whaaaat?! Ich hab so viel gemacht wie noch nie und das so gut wie noch nie, weil ich mich wirklich angestrengt hatte, weil ich es eben doch verstehen wollte und bekam noch weniger Anerkennung (eine schlechtere Note) dafür als sonst. Ab da war Mathe für mich gegessen, weil Frau Gabrys (ja, so hieß die pädagogisch echt fehlgeleitete Dame - dazu gleich) genau so war wie meine Mutter. Sie sah einfach nicht genau hin. Sie wusste: Peter kann's, der kriegt ne 1 und ich kann's eben nicht, also spielen wir Roulette mit 3 und 4. Sie konnte mich ja nicht durchfallen lassen, schließlich war in anwesend, machte meine Hausaufgaben und störte nicht. Als ich die einmal vergas und die an diesem Tag  tatsächlich eingesammelt wurden, sagte ich, dass ich sie nicht habe, weil ich sie eben nicht lösen konnte und da meinte die Frau von der man annehmen sollte, dass sie eine pädagogische Grundausbildung und mehr (Gymnasium) genossen hat, doch tatsächlich zu mir, dass es ihr klar gewesen sei, dass ich das nicht kann. Das war der letzte Tag an dem ich Hausaufaufgaben gemacht hab. Ich hab Ihr das damals auch gesagt und mich dafür entschieden, dass ich mir bewiesen hab, dass ich es versucht hatte - und das war gut genug. Mir war scheiß egal was sie dachte, was ich kann. Sie nahm mich noch einmal dran, als es um Hausaufgaben ging und ich sagte Ihr "Ich hab das schon ernst gemeint. Wenn Sie denken ich kann's sowieso nicht, mach ich hier gar nichts mehr!" Ich war gut genug - und sie hat mich nie wieder was gefragt, wenn ich mich nicht gemeldet hab.


So, das war jetzt ein recht lange Exkurs in meine Zeit als Nicht-Mathe-Genie, aber doch williger Schüler und die Tücken des Schubladen-Einstufungssystems. Was ich sagen will: Wenn man so engstirnig und festgefahren in seinen Denkmustern ist, dass man gar nicht bereit dazu ist, auch andere Meinung überhaupt existent sein lassen zu können, dann sollte man eigentlich in keine Interaktion mit noch formbaren Seelen treten. Kinder sind so viel leichter zu verunsichern und so viel einfacherer zu traumatisieren... Die blinden Flecken die sich auf der Seele eines Teenies bilden, werden bis in die erste Midlife Crises unentdeckt bleiben und ohne Therapie - die heutzutage im Grunde ja eigentlich jeder aus einem oder gleich mehreren Gründen braucht - vermutlich niemals angegangen werden.

Irgendein schlauer Mensch hat mal gesagt, dass man andere immer so behandeln soll, wie man selbst gern behandelt werden möchte und das tat ich. Mein ganzes Leben lang hab ich in jeder Lebenslage versucht ein Vorbild zu sein. Ich hab versucht meine Eltern stolz zu machen, ich hab alles für die Jungs und irgendwann Männer (obwohl die im Grunde nie so ganz erwachsen werden...^^) getan, ich treibe viel Sport und ernähre mich gesund UND ich bin die beste Freundin die man sich nur vorstellen kann.
Ich wollte immer alles richtig machen... nur bei dieser einen Sache - dem Kinderkriegen - stellte ich mich gegen die gesellschaftlichen Konventionen und den Erwartungsdruck der von allen Seiten her für dieses Engegefühl in der Brustregion sorgte. Nur bei dieser einen Sache, war ich selbst mir wichtiger, als meine Vorbildfunktion... wobei man sich auch fragen muss: Wer sagt denn, dass es in der heutigen Zeit nicht vorbildlich ist sich als Frau eben dazu zu entscheiden "kinderfrei" (wie man in Frankreich so treffend sagt) zu bleiben? Wer sagt, dass ich kein Vorbild bin, mit der Entscheidung ein selbst bestimmtes Leben zu führen und eine Karriere anzustreben, statt Brei zu kochen und Lätzchen zu waschen? Wer sagt, dass ich nicht trotz einer anderen Meinung als meine Mutter sie vertritt, ein Vorbild für Millionen junger Frauen sein kann? Wer? Ich denke, genau das bin ich trotzdem... Ob sie es nun so sieht oder nicht. Manchmal muss man sich entscheiden. Und ich habe entschieden, dass die Familie die ich gründe (also der Mann, den ich mir aussuche und der Hund, den ich halte) immer wichtiger sein werden, als die Familie, aus der ich komme. Denn der Unterschied ist: Familie kann man sich einerseits nicht aussuchen. Anderseits aber doch.


20 Laternen auf dem Weg zu unserem Haus.
doch die Welt sieht heute anders aus.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen