Samstag, 3. April 2021

Kontrolle abgeben vs. Kontrolle verlieren

"Niemand ist frei, der über sich selbst nicht Herr ist."
[Matthias Claudius]

Ein Thema zu dem ich mir vor wenigen Wochen Gedanken machen wollte, aber nicht weit kam. Wie angkündigt hier nun ein paar meiner Gedanken dazu, weil ich (wenn auch nur etwas) weitergekommen bin. Voro einiger Zeit hat jemand zu mir gesagt, dass ich ruhig mal Kontrolle abgeben könnte und ich meinte noch dass mir das ziemlich schwer falle. Daran hat sich bisher nichts geändert. Selbige Person fragte nur wenige Tage später, als es um eine gemeinsame Unternehmung an einem mir nicht vertrauten Ort ging, allerdings: "Vertraust Du mir?"
Das war der Knackpunkt. Ich bejahte diese scheinbar recht einfältig dahergesagte Frage, die bei genauerem Betrachten so viel mehr ist als das. ich weiß noch, dass ich mal nach dem schönsten Kompliment gefragt wurde, das ich jemals bekommen habe und ich erinnerte mich an die Aussage eines Freundes, der meinte "Ich vertraue Dir zu 100%". Das freute mich nicht nur, sondern war eine große Ehre für mich, weil ich das damals von keinerm einzigen Menschen behaupten hätte können (der nicht blutsverwandt mit mir ist).

"Die größte Ehre, die man einem Menschen antun kann,
ist die, dass man zu ihm Vertrauen hat."
[Matthias Claudius]
 

Zurück zu meiner Aussage: Ich vertraute besagter Person und dann fiel es mir tatsächlich etwas wie Schuppen von den Augen. Ich kann sehr wohl Kontrolle abgeben, wenn ich das möchte - und ja, manchmal möchte ich das sogar - aber die Grundvoraussetzung dafür ist, dass ich meinem Gegenüber dafür nicht nur an sich vertrauen muss, sondern viel mehr noch, dass ich der Person vor allem zutrauen können muss, dass diese die Kontrolle auch behalten kann. Ich muss mir, wenn ich die Kontrolle abgebe, zu 100% sicher sein können, dass der andere in jeder Situation einen kühlen Kopf bewahrt, dass er (oder sie... bleiben wir mal realistisch, es wird vermutlich immer eher ein er sein^^) darauf achtet, dass mir oder meinen Liebsten (meinem Hund!) nichts passiert und keiner von uns in die Situation kommt auch nur ein kleine negative Erfahrung zu machen, die wir mit der besuchten Lokalität oder dem Erlebnis verknüpfen könnten. Denn, ist das einmal vorgekommen, lässt sich daas nur schwer wieder kitten. Wer das Zepter von mir übergeben bekommt, ist quasi auserwählt. Wie der Rudelführer bei den Wölfen oder der Leithengst in einer Herde von Wildpferden, muss der (neue) Anführer nicht der größte oder Stärkste, aber auf jeden Fall in der Lage sein, kluge Entscheidungen zu treffen. Das ist es was einen Anführer, jemanden der die Kontrolle übernimmt, ausmacht. Einfach die Tatsache, dass er es kann und die anderem ihm nicht nur vertrauen, sondern diese überaus wichtige Aufabe auch zutrauen.
Kontrolle abgeben, fällt mir also eigentlich nicht so schwer, wenn es jemanden gibt, der sie statt meiner auch tatsächlich übernehmen kann.


"Lieben, heißt Kontrolle verlieren."
[Paul Coelho]


Die Kontrolle zu verlieren ist hingegen nochmal ein ganz anderes Kapitel. Ich verknüpfe das - ähnlich wie der von mir zitierte brasilianische Schriftsteller und Bestsellerautor - mit der Liebe. Genau genommen mit dem Akt der Liebe. Wenn zwei Menschen sich so nah sind, wie es eben geht und sich dem Höhepunkt nähern, ist das für mich der einzige Moment, in dem ich den totalen Kontollverlust sehe. Sicher, kann man sich auch zusammenreißen, verhältnismäßig still sein, sich dabei wenig bewegen und das Zelebrieren des eigenen Körpers vom Höhepunkt ohne viel Bewegung genießen. Man kann, wenn man bereit ist loszulassen (und ja, hier komt auch ein klein wenig vom Kontrolle abgeben ins Spiel) aber auch die Kontrolle komplett verlieren. Wenn der Punkt an dem man sich noch entscheiden kann, erstmal überschritten ist... Der Körper gehorcht einem dann nicht mehr, man atmet lauter als man es eigentlich möchte oder es nötig wäre, die Arme machen Sachen, von denen man nichts mitbekommt und die Finger krallen sich in fremdes Fleisch. Einige Sekunden, in denen man gewillt die schönste Nebensache der Welt auszukosten, ist man bereit sich komplett fallen zu lassen. Auch hierzu gehört Vertrauen in den anderen, keine Frage, aber hierbei geht es mehr um das Vertrauen an sich, das man in die andere Person hat, nicht darum ob sie irgendetwas "gebacken" kriegt. Fühlt man sich sicher und gut aufgehoben, vertraut man in diesem ganz besonderen Moment, den zwei Menschen miteinander teilen auch... Aber dieser Momnt, in dem man zum Höhepunkt kommt, man an nichts mehr klar denken und den eigenen Körper nicht mehr sicher steuern kann, das ist für mich Kontrollverlust.
Mir fällt kein zweites Szenario ein, bei dem man als normal denkender Mensch so angreifbar, so unachtsam und so unkontrolliert ist, wie bei einem Orgasmus. Die Frage, die ich mir lange gestellt habe: So schön dieser Augenblick auch sein kann - ist es das wirklich wert? Möchte ich, wenn auch nur für wenige Sekunden, so angreifbar und verletztlich sein? Nicht nur für meinen Gegenüber sondern grundsätzlich? Möchte ich, als total strukturierter, kontrollierter Kopfmensch wirklich einfach einmal alles für einen Moment loslassen? Komme was wolle?
Oder ist das dieser eine kleine Augenblick Freiheit und Unbeschwertheit, den ich nicht nur meinem Körper, sondern eben auch meinem Geist gönnen (können) sollte? Einen Moment den Nicht-denkens und Genießens, der eigentlich so kurz ist, dass währenddessen nichts Schlimmes passieren kann? Ja, das denke ich mittlerweile. Heute weiß ich, dass Letzteres die bessere Wahl ist und ich kann regelmäßig loslassen - aber auch dies hat eine Weile Vertrauen und auch Kontrolle abgeben gebraucht. Final kann ich sagen: Dass man - so denke ich - nicht in der Lage ist die Kontrolle zu verlieren, wenn man grundsätzlich nicht bereit ist sie vorher auch mal abzugeben. Man braucht eben nur jemandem, dem man vertraut und die gleichen Führungsqualitäten (zumidnest auf manchen Gebieten) zutraut wie sich selbst... und schon ist die eigene Lebensqualität gestiegen, auch wenn man sich nicht allein um alles kümmern muss. Man sagt zwar immer, wenn etwas gut werden soll, muss man es selber machen, aber ich schätze, Ausnahmen bestätigen die Regeln.
 
Also... fühlt Euch frei auch mal was abzugeben, wovon ihr eigentlich glaubt, es besser selbst im Griff zu haben.

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